Sehr geehrter Herr Dr. Franz Segbers,

Der Armutsforscher und Sozialethiker, Prof. Dr. Franz Segbers, geht mit den bundesdeutschen Regierungen hart ins Gericht, weil sie die Menschenwürde und das Menschenrecht auf soziale Teilhabe der armgemachten Bevölkerung missachten.

Sehr geehrter Herr Dr. Franz Segbers,

mit großem Interesse habe ich über Publik-Forum Ihre Schrift: “ Wie Armut in Deutschland Menschenrechte verletzt“ gelesen. Zu 100 % bin ich mit Ihnen einig, dass die neue Armut als ein Produkt neoliberaler Strukturen die Übereinkunft aushebelt, „arme“ Menschen als ebenbürtige Mitbürger zu sehen, deren Menschenwürde weder beschädigt noch verletzt werden darf.

Vor allem geht es unserer Initiative um Kinder- und daher um Familienarmut, denn Kinder sind nur arm, wenn ihre Eltern arm  g e m a c h t  wurden. Und das betrifft nicht nur  Arbeitslose, Hartz IV-Empfänger,  Mindestlöhner und Aufstocker …., sondern auch fast alle Eltern, die mehr als 2 Kinder groß ziehen:

http://www.deutscher-familienverband.de/publikationen/fachinformationen/send/2-publikationen/211-horizontaler-vergleich-2017

Das liegt an unserem Sozialgesetz, welches Erziehungsleistung, Unterhalt und Pflege für Kinder mit NULL bewertet. Zwar wird die Kinderzahl bei der Steuer berücksichtigt, nicht aber bei den Abgaben in die Sozialversicherungen. Da ist es dem Gesetzgeber völlig egal, wie viele Mäuler in der Familie zu stopfen sind. Mit jedem weiteren Kind rutscht ein Arbeitnehmer weiter unter das Existenzminimum der Familie, wogegen der Single am Ende des Jahres sich über mehrere Tausend Euro zur freien Verfügung freuen darf!  Dabei sind es die Eltern, die für den nötigen Nachwuchs der Rentenbeitragszahler unter hohen finanziellen Belastungen sorgen.

Seit Jahren kämpfen Familienverbände um eine verfassungsgerechte Beitragsreduzierung, die für jedes Kind, egal wie hoch das elterliche Einkommen ist, 238.- monatlich beträgt.  Bei vier Kindern macht das monatlich fast 1000.- aus.

www.elternklagen.de

http://elternklagen.de/beitragsgerechtigkeit/studien-fachartikel/

hier: http://elternklagen.de/gleichheitssatz-statt-familienfoerderung/

Es geht also darum, dass Familien nicht „gefördert“ werden wollen, sondern darum, dass sie gleichwertig, also  g e r e c h t  im Sinne der Menschenrechte  behandelt werden müssen. Familien dürfen nicht wegen ihrer Kinder benachteiligt werden, urteilte das Bundesverfassungsgericht 2001. Im Gegenteil: Sie selbst sind die „Förderer“ unseres Sozialwesens. Ohne Familien keine Renten!

Aber noch ein weiterer Schalthebel sorgt in der bundesdeutschen Politik dafür, dass Familien ungleich behandelt werden, je nachdem, ob sie der Doktrin mütterlicher Erwerbstätigkeit folgen können / wollen oder nicht. Kann eine Mutter wegen bereits vorhandener Kleinkinder oder als Studentin vor der Entbindung nicht erwerbstätig sein, so hat sie nur Anspruch auf den Mindestbetrag von 300.- Elterngeld, während Frauen mit hohem Verdienst mit dem Höchstbetrag von mtl. 1800.- für ihr Kind „belohnt“ werden. Die Differenz beträgt in einem Jahr 18 000.- ! Eine eindeutige Umverteilung von unten nach oben. Aber das scheint unsere Politiker nicht weiter zu stören.

http://www.johannes-resch.de/Elterngeldgesetz-ein-Angriff

Sehr geehrter Herr Dr. Segbers, noch etwas ist mir bei der Lektüre aufgefallen. CARITAS  und DIAKONIE,  ebenso wie die TAFELN werden politisch niemals aktiv werden, um Barmherzigkeit im Sinne einer politischen Wende überflüssig zu machen. Denn sie leben ja von Barmherzigkeit und Hilfestellung. Ist niemand mehr arm, braucht man diese Organisationen  nicht mehr. Immer wieder halte ich Herrn Prälat Neher vor, dass die CARITAS die Verhältnisse 1:1 akzeptiert und lediglich reagiert, anstatt endlich politisch tätig zu werden, etwa mit der Forderung nach einem drastisch verminderten MwStsatz auf Verbrauchsgüter für Kinder. Ja ich hielt Herrn Neher sogar vor, mit dem sparwütigen Staat zu kooperieren. Würden Familie nämlich im Sinne der Menschenrechte gerecht behandelt, so wären wohl die meisten Familien autark und könnten gesellschaftliche Teilhabe genießen.

Ich selbst, Herr Segbers, bin als viertes von sieben Kindern in einer arm gemachten Familie aufgewachsen. Auch wir waren auf die spontane Hilfe durch die Caritas angewiesen, wofür ich heute noch dankbar bin. Doch meine Eltern hatten sich wütend geschämt, als „hilfsbedürftig“ zu gelten, wo doch ihre Kinder die Basis des sogenannten Generationenvertrags waren! Sie waren wütend, dass 1957 Adenauer genau jene Familien hängen ließ, auf die es künftig ankam. Weil eine Mutter von sieben Kindern nicht auch noch erwerbstätig sein konnte, um zu einer auskömmlichen Rente zu kommen *), wenn sie alle Kleidungsstücke für sich und die Kinder selber nähte, wenn die Eltern drei Schrebergärten beackerten, um die acht Mäuler zu stopfen, wenn sie die Betten im Haus an Touristen vermieteten, wenn der Vater alle Handwerkerarbeiten am mühsam erworbenen Reihenhaus selbst bewerkstelligte und nebenher dafür sorgte, dass die Kinder ihren Bildungsweg meistern, warum sollten sie mit Missachtung bestraft werden?

*) Adenauer hatte 1957 die Rentenanwartschaft ausschließlich an die Erwerbseinkünfte gekoppelt, ohne Familienarbeit zu berücksichtigen.

Nein, Herr Dr. Segbers, Armut kenne ich zur Genüge. Und meine Arbeit in unserer ELTERNINITIATIVE  FÜR  FAMILIENGERECHTIGKEIT kann vielleicht eine Wiedergutmachung dafür sein, was unsere engagierten Eltern für uns Kinder zwischen 1938 und 1952 fast übermenschlich geleistet haben. Mit 75 Jahren als Mutter von vier Kindern und Großmutter von zehn verheißungsvollen Enkeln sehe ich erstens keinen Fortschritt in der politischen Bewertung von engagierter Familienarbeit, und zweitens einen gewaltigen demografischen Rückschritt. Denn, wollen Familien heute überleben, ohne an die Armutsgrenze zu gelangen, so müssen sie entweder ganz auf Kinder verzichten, oder diese notgedrungen, aber politisch so gewollt, in außerfamiliäre Kinderbetreuung geben und damit auf psycho-stabilisierende Elternpräsenz verzichten, weil sie aus Angst vor Altersarmut ihre Erwerbskarriere nicht unterbrechen dürfen. Daher wird eine Geburtenrate von 2,1 pro Frau zur Aufrechterhaltung des notwendigen Beitragsnachwuchses seit Jahrzehnten unterschritten. Mehr als 25% der jungen Paare bleibt logischerweise heute freiwillig kinderlos. Das Rentensystem wird daher demnächst kollabieren.

Aus Eltern- und Kinderarmut wird Altersarmut, Herr Segbers. Nicht dass sich niemand dafür interessierte. Nein, seit Jahrzehnten bedrängen Familienverbände und – initiativen die politisch Verantwortlichen der jeweiligen Regierungen mit Vorschlägen, ein demografiefestes Konzept zu installieren – ohne Erfolg! Zu arrogant, zu sehr auf geriatrische Wähler orientiert, zu zukunftsignorant verweigert unsere Politik notwendige Entscheidungen – zu Lasten derer, die nach uns kommen, nämlich meiner Kinder und Enkel. Sie werden ausbaden müssen, was die Kohl-, Schröder-, Merkelpolitik versäumt  hat.

Dieser Brief, Herr Dr. Segbers, wird auch im Internet veröffentlicht, samt Ihrer Antwort, so Sie uns diese schicken.

Damit grüße ich Sie in Dankbarkeit für Ihre dramatisch aufklärende Veröffentlichung                     Bärbel Fischer

ELTERNINITIATIVE  FÜR  FAMILIENGERECHTIGKEIT

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Hier die  freundliche und aufschlussreiche und hilfreiche Antwort von Herr Dr. Segbers:

Sehr geehrte Frau Fischer,

danke für Ihren langen Brief, den ich aus ganzem Herzen zustimmen kann. Sie haben recht, dass arm gemacht wird und Kinder arm sind, wenn ihre Eltern arm  g e m a c h t  wurden.

Mit meinem Buch „Wie Armut in Deutschland Menschenrechte verletzt“ möchte ich die Kirchen wie auch Caritas und Diakonie zu einem prophetischen Engagement für die arm Gemachten ermutigen. Die Diakonie tut dies erfreulicherweise sehr engagiert. Armut in einem reichen Land ist immer politisch gemacht und muss deshalb auch politisch bekämpft werden. Armut ist eine Verletzung der Menschenrechte. Ich stimme Ihnen zu, dass mit Barmherzigkeit allein die Armut nicht zu bekämpfen ist. Dazu braucht es politische Anstrengungen!

Ich hatte im letzten Jahr einen Aufruf mit dem Titel „Wir wollen eine Gesellschaft, der jedes Kind gleich viel wert ist“ initiiert, den die Diakonie sich zu eigen gemacht hat. Sie hatte auch eine Pressekonferenz dazu einberufen, die große Resonanz hervorrufen konnte.

Im Aufruf fordern wir eine eigenständige und einheitliche Geldleistung für jedes Kind und jeden Jugendlichen. Es ist ungerecht, wenn Bezieherinnen und Bezieher höherer Einkommen für ihre Kinder mit ihrem Kindersteuerfreibetrag eine höhere Unterstützung erhalten, als Bezieherinnen und Bezieher normaler und niedriger Einkommen. Auf Grundsicherungs-leistungen wie Hartz IV Angewiesene erhalten faktisch gar kein Kindergeld, denn es wird mit den Regelleistungen verrechnet. Auch der bürokratische Kindergeldzuschlag erreicht sehr viele Familien mit Kindern nicht. Wir fordern: Eine eigenständige und einheitliche Geldleistung für alle Kinder und Jugendlichen muss mindestens den grundlegenden finanziellen Bedarf für die Existenz und gesellschaftliche Teilhabe der Kinder und Jugendlichen absichern. Sie soll alle bisherigen kindbezogenen Geldleistungen bzw. steuerlichen Vergünstigungen bündeln. Wir meinen: Es gibt kein besseres Mittel,  Armut und Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen wirksam zu  bekämpfen.

Hier finden Sie den Aufruf: http://www.franz-segbers.de/resources/Aufruf_Wir_wollen_eine_Gesellschaft__der_jedes_Kind_gleich_viel_wert_ist.pdf

Daraus ist eine Petition der Nationalen Armutskonferenz entstanden,  in der ein Bündnis von 40 Sozial- und Familienverbänden und Kinderschutzorganisationen dieser Ungerechtigkeit aktiv begegnen und Abhilfe schaffen will.

Die Petition fordert:
1.Ein realistisches Existenzminimum für Kinder, das sich am tatsächlichen Bedarf orientiert und die konkreten Lebensbedingungen des Kindes berücksichtigt.
2.Eine Schaffung von Gleichheit bei der Familienförderung.
3.Leistungen müssen einfacher, transparenter gestaltet und leichter zugänglich werden.

Seit dem 6. Dezember 2016 wollen die Unterzeichner zusammen mit der Nationalen Armutskonferenz ihren Forderungen gegen Kinderarmut mit einer Online-Petition, kurz vor der nächsten Bundestagswahl, Nachdruck verleihen. Wir laden Sie ein, diese Petition ebenfalls zu unterzeichnen, die hier online zugänglich ist: https://weact.campact.de/petitions/keine-ausreden-mehr-armut-von-kindern-und-jugendlichen-endlich-bekampfen

Ich freue mich, dass der Aufruf „Wir wollen eine Gesellschaft, der jedes Kind gleich viel wert“ von der Diakonie getragen und unterstützt wird. Die Diakonie unterstützt auch die Petition, leider jedoch nicht der Caritasverband auf Bundesebene.

Ich wünsche Ihren Aktivitäten für arm gemachte Kinder viel Erfolg und Durchhaltevermögen. Lasst uns die anstehenden Wahlen nutzen, die Politikerinnen und Politiker aufzurütteln.

Ihr Franz Segbers

Prof. Dr. Franz Segbers
Nonnbornstr. 14a
D-65779 KELKHEIM
Tel. 06195 – 67 42 585
Mobile: 01522 16 32 492
Fax: 06195-  68 50 542
www.Franz-Segbers.de

2 Gedanken zu „Sehr geehrter Herr Dr. Franz Segbers,

  1. Ganz herzlichen Dank, Herr Dr. Segbers, für Ihre prompte Antwort, die ich unter unserem Beitrag angefügt habe.

    Gerne werden wir die von Ihnen genannten Aktionen unterstützen, die das Kinderelend mindern helfen.

    Meine Frage aber bleibt: Was ist mit den Eltern / Müttern, die ohne oder neben ihrem Erwerbsjob zusätzlich Erziehungsarbeit für ein oder mehrere Kinder leisten, ihnen das aber, verglichen mit Erwerbslohn, weit unter Wert auf die Rente angerechnet wird? Seitdem die CDU mit der Adenauer’schen Rentenreform 1957 die elterliche Erziehungsleistung von ihrem naturgegebenen Lohn, nämlich der Alterssicherung abgeschnitten und später ihr Frauen- und Familienbild „entstaubt“ hat, ist sie keinesfalls mehr eine familienpolitische Hoffnungsträgerin. Solange Eltern in Deutschland Kindererziehung als Privathobby betreiben müssen, Kinderlose aber den Profit in Form von Rente von deren Beiträgen genießen dürfen, solange bleibt Gleichberechtigung reine Fiktion.

    Wir brauchen also ein Modell, dass sowohl Kindern, als auch Eltern g e r e c h t wird. Erziehungsarbeit darf nicht weiter zu einem Null- bzw. Minuswert gehandelt werden. Mittlerweile geht der Spruch durch deutsche Lande: „Wer in Deutschland rechnen kann, schafft sich keine Kinder an“. Logisch! Darum bleiben mittlerweile auch mehr als 25% junger Paare kinderlos. Allerdings setzen diese auf die Beiträge der Kinder ihrer Nachbarn, um im Alter versorgt zu werden.

    Fazit: Die Entscheidung für oder gegen Kinder muss und darf jedes Paar selbst treffen. Aber diese Entscheidung hat eben Konsequenzen in Form von gestaffelten Beiträgen.

    Unser Anliegen, Herr Dr. Segbers ist eben, dass weder Kinder noch Eltern ins Hintertreffen geraten dürfen.

    Mit herzlichem Dank für Ihr segensreiches Engagement grüße ich Sie mit besonderer Hochachtung
    BF

  2. Die Antwort von Herrn Prof. Dr. Segbers ist insofern enttäuschend, als dass sie nichts Neues enthält und altbekannte „Sprechblasen“ wiederholt. Dazu gehört die Forderung nach einem „bedarfsgerechten Existenzminimum“ – aber um eine konkrete Zahl drückt er sich. Meint er damit das bestehende Existenzminimum, das bereits heute durch Kindergeld abgebildet wird, oder etwa mehr?
    Auch die Forderung, Steuerfreibeträge für Kinder durch eine einheitliche Grundsicherung zu ersetzen, schallt seit Jahren aus den Reihen der SPD. In unserem Steuerrecht ist es nun mal so, dass Gutverdiener mehr von Freibeträgen profitieren, weil sie eben höhere Steuern zahlen und daher auch bei Freibeträgen mehr von ihren gezahlten Steuern zurück erstattet bekommen. Bei solchen Freibeträgen wie denen für Arbeitszimmer oder Fahrten zur Arbeit regt sich niemand darüber auf. Warum dann bei Kindern? Ich vermute, hier geht es um etwas ganz anderes.
    Und dass er sich in seiner Antwort nur auf die Kinder selbst bezieht, die finanzielle Situation der selbst erziehenden Mütter aber mit keiner Silbe erwähnt, spricht ebenso für sich. Sehr schade, dass ein so rennommierter Armutsforscher so wenig zum Thema Familienarmut zu sagen hat.

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